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Flüchtlingsansturm auf den Kanaren: Ein Weg ins Ungewisse

An einem Sonntagmorgen im August versammelten sich etwa 250 Migranten aus der Subsahara am Teneriffa-Nord Flughafen, um weiter nach Madrid zu fliegen, nachdem sie über den atlantischen Ozean zu den Kanarischen Inseln gekommen waren, was die spanischen und europäischen Sicherheitsbehörden zunehmend beunruhigt.

Ein Sonntagmorgen im August am Flughafen Teneriffa-Nord: Rund 250 Männer aus der Subsahara stehen in der Abflughalle und warten auf den Check-in. Gerade erst sind sie über das Meer von der afrikanischen Küste nach Spanien gekommen, oft aus Ländern wie Mauretanien oder dem Senegal. Ihre Reise begann in unsicheren Holzbooten, die sie in Richtung des spanischen Archipels führten, und landeten schließlich auf El Hierro, der kleinsten Insel der Kanaren, die derzeit als der Hotspot der Migrationskrise gilt. Von dort brachten Fähren sie nach Teneriffa ins Flüchtlingslager Las Raíces, von wo sie nun nach Madrid fliegen sollen.

Eine Mitarbeiterin der NGO Accem steht vor den Abfluggates und antwortet den Migranten geduldig auf Französisch auf ihre Fragen. Sie erklärt, dass viele von ihnen erst um drei Uhr morgens informiert wurden, dass ihr Flug heute geht. Hier spielt sich das Szenario ab, das in den vergangenen Wochen und Monaten immer häufiger an den Flughäfen der Kanaren zu beobachten ist.

Ein massiver Anstieg der Migrationszahlen

Die Kanaren erleben einen regelrechten Boom in der Zahl der ankommenden Bootsmigranten. Bis Mitte August erreichten etwa 21.000 Menschen die Inseln, was einem Anstieg von 148 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum entspricht. Sicherheitsbehörden berichten von etwa 70.000 Migranten, die alleine in Mauretanien auf eine Gelegenheit warten, um über das Meer gen Kanaren zu starten. Besonders im Herbst, wenn das Meer ruhiger wird, wird erneut ein Anstieg der Ankünfte erwartet.

Die Insel El Hierro ist besonders betroffen. Sicherheitsbeamte und Mitarbeiter der EU-Grenzschutzbehörde Frontex stehen unter enormem Druck, denn die nun bestehenden Aufnahmeeinrichtungen sind der Situation nicht gewachsen. Um den Druck zu mindern, werden die Migranten möglichst schnell aufs spanische Festland weitergeleitet. In Gesprächen mit der Presse äußerten sich Beamte besorgt über diese Vorgehensweise und die damit verbundenen Sicherheitsrisiken.

„Wir wissen nicht, wer diese Menschen sind“, berichtet ein Polizist. „Die aufgenommenen Angaben können oft nicht überprüft werden, und uns sind die Hände gebunden. Nach maximal 72 Stunden müssen wir sie wieder freilassen.“ Diese Lücken in der Identifikation könnten ein erhebliches Sicherheitsrisiko darstellen, da es unmöglich sei, festzustellen, ob die genannten Namen und Nationalitäten der Wahrheit entsprechen.

Gefährliche Überfahrten und Menschenhandel

Die Reise über das Meer ist für die Migranten extrem gefährlich. Ein Beamter des spanischen Seenotrettungsdienstes berichtet, dass die Schlepper oft am Treibstoff sparen, um ihre Gewinne zu maximieren, was die Fahrt für die Migranten noch gefährlicher mache. „Viele sind in einem sehr schlechten Zustand, wenn sie ankommen, und es gibt oft viele Todesfälle, von denen niemand erfährt,“ sagt er.

Lamine, ein Migrant aus Gambia, hat die Überfahrt überlebt. Mit zwei Freunden sitzt er vor dem Flüchtlingslager Las Raíces auf Teneriffa. Er erzählt, dass er umgerechnet 600 Euro bezahlt hat, um von Gambia nach Senegal zu reisen und dort ein Boot zu besteigen. „Nach neun Tagen landeten wir auf El Hierro,“ sagt er. Sein Ziel ist es, in Madrid eine Arbeit zu finden, egal ob dies mit oder ohne Asylstatus geschieht. Lamine möchte einfach ein besseres Leben führen.

Viele seiner Freunde und Bekannten werden sich bald auch auf den Weg machen, um dem ungewissen Schicksal in ihren Heimatländern zu entgehen. Auf die Frage, was sie tun, falls sie zurückgeschickt werden, antwortet einer seiner Freunde kalt: „Dann versuchen wir es eben noch mal.“

Spanische Behörden und NGOs im Dauereinsatz

Die spanischen Behörden tun ihr Bestes, um die laufenden Schleusungsaktivitäten zu bekämpfen. Sobald die GPS-Daten eines ankommenden Bootes bestätigt sind, werden diese Informationen an spanische Polizeikräfte in den Abfahrtsländern weitergegeben, um gegen Schlepperzellen vorzugehen. „Unser Kampf gegen die Schlepper-Mafia trägt Früchte. Wir konnten zuletzt etwa 40 Prozent der Abfahrten verhindern,“ berichtet das spanische Innenministerium.

Doch für die 76 Migranten, die gerade im Hafen von La Restinga auf El Hierro angekommen sind, ändert das nichts. Sie werden vom Roten Kreuz versorgt, bevor sie nach San Andrés und dann aufs spanische Festland gebracht werden. In Madrid hoffen sie, ihre Träume von einem Leben in Europa zu verwirklichen. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Situation in den kommenden Monaten weiterentwickeln wird.

Historische Parallelen: Migration nach Europa

Die aktuelle Migrationskrise auf den Kanarischen Inseln erinnert an frühere Wellen der Migration nach Europa, wie jene über das zentrale Mittelmeer in den frühen 2010er Jahren. Damals war Italien das Hauptziel, insbesondere die Insel Lampedusa. Im Jahr 2015 erreichte die Flüchtlingskrise einen Höhepunkt, als über eine Million Migranten und Flüchtlinge, hauptsächlich aus Syrien, Afghanistan und dem Irak, über die Türkei und die Balkanroute nach Europa gelangten.

Die Parallelen sind frappierend: Beide Krisen wurden durch politische Instabilität, Krieg und wirtschaftliche Notlagen in den Herkunftsländern ausgelöst. Unterschiede gibt es jedoch auch, besonders in den Hauptrouten und Zielländern. Während damals hauptsächlich Ost- und Mitteleuropa betroffen waren, konzentriert sich die derzeitige Krise stärker auf die südlichen Grenzen Spaniens.

Eine weitere wichtige Parallele ist die Reaktion der europäischen Staaten: Ambivalenz zwischen humanitärer Aufnahme und der Notwendigkeit, die Grenzen zu schützen. So wie Italien damals von EU-Partnern Unterstützung forderte, tut es jetzt Spanien. Mehr Informationen dazu finden Sie auf den Seiten von Bundesregierung und EU.

Expert Opinions

Der Migrationsforscher François Gemenne von der Universität Lüttich hebt hervor, dass die Migration über die Kanarischen Inseln eine Reaktion auf verschärfte Kontrollen an anderen Außengrenzen der EU ist. „Die Schlepper suchen immer nach neuen Wegen, sobald eine Route unsicher oder unbefahrbar wird,“ sagt Gemenne. Er sieht in der aktuellen Lage eine Folge von „Push-and-Pull-Faktoren“, wobei die schwierigen Lebensbedingungen in den Herkunftsländern die Menschen in Richtung Europa treiben, während die wirtschaftlichen Möglichkeiten in Europa sie anziehen. Weitere Analysen von François Gemenne kann man auf Université de Liège finden.

Salvador Lanaspa, ein Koordinator der spanischen NGO Accem, betont die Herausforderungen, die sich aus der Vielzahl ankommender Migranten ergeben. „Unsere Kapazitäten sind stark gefordert. Wir müssen sicherstellen, dass die grundlegenden Menschenrechte gewahrt bleiben und gleichzeitig mit den lokalen Behörden zusammenarbeiten, um die logistischen Anforderungen zu bewältigen,“ erklärt Lanaspa. Weitere Informationen über die Arbeit von Accem gibt es auf Accem.

Statistiken und Daten

Jahr Anzahl der Migranten auf den Kanaren Veränderung zum Vorjahr
2019 2.698
2020 23.023 +753%
2021 22.316 -3%
2022 15.682 -30%
2023 (bis Mitte August) 21.000 +148%

Die obenstehenden Zahlen verdeutlichen den starken Anstieg der Migration über die Kanarischen Inseln. Diese Daten stammen vom spanischen Innenministerium. Weitere Statistiken und Berichte finden Sie auf Ministerio de Migraciones.

Fazit

Die derzeitige Migrationskrise auf den Kanaren stellt Spanien und die EU vor große Herausforderungen, vergleichbar mit früheren Migrationswellen. Mit verstärkter internationaler Zusammenarbeit, verbesserten Kontrollmechanismen und humanitären Maßnahmen muss eine Lösung gefunden werden, die den Bedürfnissen der Migranten gerecht wird und gleichzeitig die Sicherheit und Stabilität in Europa gewährleistet.

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