Schwerin

Bangladesch nach Hasina: Aufarbeitung der Repressionen und neue Hoffnung

Nach dem Sturz von Sheikh Hasina am 5. August in Dhaka fordern die Angehörigen der getöteten Demonstranten Gerechtigkeit und bringen Dutzende von Klagen gegen die ehemalige Premierministerin und ihre Regierung ein, während die neue Übergangsregierung die blutige Repression während ihrer Amtszeit aufarbeitet und die Korruption bekämpfen will.

In Bangladesh hat sich die politische Landschaft nach dem Sturz von Sheikh Hasina am 5. August drastisch verändert. Die vormals regierende Awami League, die für eine strikte Unterdrückung von Oppositionsbewegungen bekannt war, sieht sich nun einer Welle von Klagen und rechtlichen Auseinandersetzungen gegenüber. Diese Veränderungen verdeutlichen die Kehrtwende des (noch) autoritären Regimes hin zu einem potenziell offeneren politischen Klima, wo Gerichte und nationale Institutionen unverhohlen gegen die ehemaligen Machthaber vorgehen.

Die Stimmung im Land hat sich gewandelt; die Menschen, die unter der Repression von Hasina litten, fordern jetzt Gerechtigkeit. Insbesondere die Angehörigen der während der Proteste getöteten Personen haben begonnen, Klage gegen die Ex-Premierministerin und ihre engsten Verbündeten einzureichen. Bisher gibt es über fünfzig Klagen, die in erster Linie Mord-, Genozid- und Menschenrechtsverletzungen beschuldigen. Hasina wird speziell für die über 400 Toten während der Studentenproteste zur Verantwortung gezogen, die letztendlich zu ihrem Rücktritt geführt haben.

Die Aufarbeitung der Repressionen

Der Fokus der Klagen liegt besonders auf den brutalen Polizeigewalt, die während der Proteste von regenerative Einheiten ausgeübt wurde. Diese Einsätze wurden nicht nur von der Landespolizei, sondern auch von militärisch organisierten Gruppen durchgeführt, die Hasina in den letzten Tagen ihrer Herrschaft zu Hilfe rief. Am entscheidenden Tag, als sich Tausende von Demonstranten auf den Weg zu ihrem Amtssitz in Dhaka machten, drängte sie sogar die Armee, das Feuer zu eröffnen. Doch die Armeeführung widersetzte sich diesen Anordnungen, was zu Hasinas Sturz führte.

In den zurückliegenden Jahren waren Kritiker der Regierung immer wieder verschwunden oder Opfer gewaltsamer Übergriffe geworden, oft ohne Klärung ihres Schicksals. Das Wiederauftauchen mehrerer dieser während Hasinas Amtszeit verschwundenen Personen wirft Fragen über die Gefängnisse auf, die unter Aufsicht des Militärgeheimdienstes DGFI standen. Diese geheimen Haftanstalten, als Aynaghar bezeichnet, sind bekannt dafür, dass Häftlinge in totaler Isolation ohne Zugang zu Sonnenlicht festgehalten wurden. Die Berichte über die unmenschlichen Bedingungen in diesen Einrichtungen haben die Nationalen Menschenrechtskommission dazu veranlasst, eine umfassende Untersuchung zu fordern.

Ein neues Kapitel in der politischen Ordnung

Die Übergangsregierung, die nun das Land führt, hat angekündigt, eine Kommission einzurichten, welche die Fälle der Vermissten und die verantwortlichen Personen für die kurulierten Tibberungen, die zwischen 2008 und 2023 stattfanden, ermitteln soll. Zudem nahm die Finanzaufsichtsbehörde ihre Arbeiten auf, um frühere Regierungsmittel zu überprüfen und Anklagen wegen Korruption vorzubereiten. Die neue Regierung signalisiert somit den Wunsch, ein umfassendes Bild von der Misere der letzten Jahre zu zeichnen und die systematischen Missstände in der Staatsverwaltung anzugehen.

Besonders brisant ist, dass viele ehemalige Minister und Funktionäre nun ebenfalls in den Fokus von Ermittlungen geraten sind. Die Maßnahmen der Anti-Korruptionskommission zeigen den klaren politischen Willen, eine Rückkehr zu einer demokratischen Ordnung zu vollziehen und dem Korruptionstrend ein Ende zu setzen, der in den letzten Jahren die Bangladeschische Gesellschaft geprägt hat.

Doch die Antwort auf die Frage, wie sich Bangladesh nach dem Umsturz weiterentwickeln wird, bleibt abzuwarten. Die neue Regierung steht vor der Herausforderung, Vertrauen zu schaffen, nicht nur bei der Bevölkerung, sondern auch innerhalb der Kräfte, die über Jahre hinweg unterdrückt wurden. Die Polizei, die vorübergehend aus der Öffentlichkeit verschwunden war, versucht nun wieder an Legitimität zu gewinnen, doch die Erinnerungen an die Gewalt und Repression der vergangenen Jahre sind noch frisch. Eine Revolution im Verhalten der Justiz und der Polizeikräfte könnte erforderlich sein, um eine echte Wende im politischen Klima herbeizuführen.

Ein Blick in die Zukunft

Die künftige Entwicklung in Bangladesh wird entscheidend davon abhängen, ob es der neuen Regierung gelingt, die Verhältnisse zu ändern und gerechte Verfahren zu gewährleisten. Politische Umbrüche bieten oft die Chance, alte Strukturen in Frage zu stellen und neuen Zufluchtsorten für Gerechtigkeit und Rechte einzuräumen. Doch ein Umschwung allein reicht nicht, um die tief sitzenden Probleme auszumerzen. Ob Bangladesh wirklich in der Lage sein wird, aus der Dunkelheit der vergangenen Jahre ans Licht zu treten, bleibt eine Frage, die die kommenden Monate und Jahre stark prägen wird.

Die Angehörigen der getöteten Demonstranten wollen Gerechtigkeit. Auch die Gegner der gestürzten Regierung nutzen die Chance, um alte Fälle vor Gericht zu bringen. Langsam wird das ganze Ausmass der Repressionen unter Hasina klar.

Studentinnen fordern auf einem Protestmarsch in Dhaka am 13. August, die gestürzte Premierministerin Sheikh Hasina vor Gericht zu bringen.

Rajib Dhar / AP

Die Gerichte in Bangladesh haben dieser Tage alle Hände voll zu tun. Mit dem Sturz von Sheikh Hasina am 5. August hat sich der Wind gedreht. Die gestürzte Premierministerin, deren Awami League in den letzten Jahren ihre Gegner mit Prozessen überzogen hat, sieht sich nun selber mit Dutzenden von Klagen konfrontiert. Die Zahl der Anzeigen steigt praktisch täglich und hat bereits die Fünfziger-Marke überschritten. In den meisten Fällen geht es um Mord, es geht aber auch um Genozid und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Die 76-Jährige wird vor allem für die über 400 Toten während der Studentenproteste verantwortlich gemacht, die zu ihrem Sturz führten. Sie hatte neben Polizei und Armee auch regierungsnahe Schlägertrupps entsandt, um die Proteste zu beenden. Bis zuletzt drängte Hasina die Armee, auf die Menge zu schiessen, die auf ihren Amtssitz in Dhaka marschierte. Am Ende verweigerten die Generäle aber den Schiessbefehl und zwangen die Premierministerin zum Rücktritt.

Bei den Protesten wurden Studenten, aber auch unbeteiligte Passanten erschossen. Ihre Angehörigen reichen nun Anzeige gegen Hasina und weitere Vertreter ihrer Awami League ein. Oft richten sich die Anzeigen gegen mehrere hundert Personen. Neben Hasina sehen sich auch ehemalige Minister, Abgeordnete, Bürgermeister und Funktionäre der Regierungspartei wegen der blutigen Repression in den finalen Tagen der Regierung mit Klagen konfrontiert.

Über Jahre ohne Tageslicht in völliger Isolation

Ihre Gegner nutzen die veränderte Lage nach ihrem Sturz auch, um frühere Fälle von Mord, Folter und Entführung vor Gericht zu bringen. Hasina wurde schon lange vorgeworfen, mit dem Rapid Action Battalion eine Todesschwadron unterhalten zu haben. Es soll Hunderte Gegner ermordet haben. Viele Kritiker verschwanden auch spurlos. Die Presse in Bangladesh deckte nun die Existenz von geheimen Gefängnissen auf, die offenbar vom Militärgeheimdienst DGFI betrieben wurden. Dieser soll direkt der Premierministerin unterstanden haben.

Die Aynaghar (Haus der Spiegel) genannten Gefängnisse waren berüchtigt dafür, dass politische Häftlinge in den Zellen in totaler Isolation ohne Tageslicht lebten. Manche verbrachten dort Tage, andere Wochen oder gar Jahre unter unmenschlichen Bedingungen. Nach dem Sturz von Hasina tauchten mehrere Regierungsgegner wieder auf, die vor Jahren verschwunden waren und seither ohne Zugang zu einem Anwalt oder ihrer Familie festgehalten worden waren.

Die Nationale Menschenrechtskommission forderte eine umfassende Untersuchung zu den geheimen Gefängnissen, zu der Zahl der Häftlinge und den Gründen ihrer Inhaftierung. Die Übergangsregierung unter Vorsitz des Friedensnobelpreisträgers Muhammad Yunus ordnete daraufhin am Donnerstag die Einrichtung einer Kommission an, um die Fälle der Verschwundenen aufzuklären und die Verantwortlichen für die Etablierung der Aynaghar zu identifizieren.

Der Sumpf der Korruption wird trockengelegt

Ob sich Hasina für die Ermordung ihrer Gegner und die Tötung der Demonstranten wird verantworten müssen, ist ungewiss. Seit ihrer Flucht am 5. August lebt sie in Indien, wo sie auf Unterstützung von Premierminister Narendra Modi, einem langjährigen Verbündeten, zählen kann. Wie es für Hasina weitergeht, ist offen, nachdem die Übergangsregierung in Dhaka am Mittwoch sämtliche Diplomatenpässe annulliert hat. Indien hat Hasina bisher nicht offiziell Asyl gewährt, allerdings erscheint es auch unwahrscheinlich, dass Modi sie an die Justiz in Bangladesh ausliefert.

Nicht nur Polizei und Justiz haben dort alle Hände voll zu tun. Auch die Anti-Korruptions-Kommission und die Finanzaufsichtsbehörde verzeichnen ein erhöhtes Arbeitsaufkommen. Sie leiteten zahlreiche Verfahren wegen Bestechung, Geldwäsche und Amtsmissbrauch gegen frühere Mitarbeiter von Hasina, ehemalige Minister und Funktionäre aus dem Umfeld der Regierung ein. Auch verhängten sie Ausreisesperren gegen Personen, die sich bereichert haben sollen.

Hasina war 2008 bei demokratischen Wahlen an die Macht gelangt, hatte seither aber die Grundrechte stark eingeschränkt. Schon die Parlamentswahlen 2014 galten als weder frei noch fair. Die Opposition sah sich derart benachteiligt, dass sie den jüngsten Urnengang im Januar boykottierte. Zuletzt war Bangladesh ein autoritärer Einparteistaat, doch gelang es Hasina trotz aller Repression nicht, die Zivilgesellschaft ganz zu brechen, wie die Studentenproteste zeigten.

Die Polizei will nach der Gewalt neue Uniformen

Nach dem Sturz Hasinas brach zunächst die Ordnung zusammen, da die Polizei aus Angst vor Vergeltung über Tage aus der Öffentlichkeit verschwand. Die Studenten übernahmen daraufhin selbst die Aufgabe, den Verkehr zu regeln und für Ordnung zu sorgen. Allerdings kam es nach dem Sturz Hasinas auch zu blutigen Racheakten gegen Vertreter von Hasinas Awami League und Angehörige der Hindu-Minderheit, denen vorgeworfen wurde, die Regierungspartei zu unterstützen.

Die Übergangsregierung ist bemüht, das Vertrauen in die diskreditierten Ordnungshüter wiederherzustellen. Viele Polizeichefs wurden in den Ruhestand versetzt, auch will sich die Polizei ein neues Logo und eine neue Uniform geben. Es bleibt abzuwarten, ob der Umsturz jenseits solcher kosmetischer Massnahmen zu einem tiefgreifenden Wandel bei Polizei, Justiz und Regierung führt. Es steht zu befürchten, dass Hasinas Gegner den Spiess einfach umdrehen und die Justiz nutzen werden, um Rache für das erlittene Unrecht zu nehmen. Bangladesh hätte wenig gewonnen, wenn die Opposition die Politik der Awami League unter anderem Vorzeichen einfach fortsetzte.

Soziale und wirtschaftliche Hintergründe der Repression in Bangladesch

Die Repression unter Sheikh Hasina ist nicht nur ein politisches, sondern auch ein soziales und wirtschaftliches Phänomen, das tief in der Geschichte Bangladeschs verwurzelt ist. Die wirtschaftliche Entwicklung Bangladeschs in den letzten zwei Jahrzehnten war beachtlich, was teilweise als Rechtfertigung für autoritäre Maßnahmen genutzt wurde. Hasina betonte oft, dass Stabilität für Wachstum und Fortschritt notwendig sei. Dies führte jedoch zu einem Klima der Angst und Unterdrückung, in dem abweichende Meinungen systematisch ausgeschaltet wurden. Politische Rivalen wurden oft mit Haftstrafen oder gar Mord bedroht, um dissenting voices zum Schweigen zu bringen.

Diese Taktik zeigte sich besonders deutlich während der Wahlen. Berichten zufolge kam es zu massiven Wahlmanipulationen, Einschüchterungen von Wählern und Angriffen auf Oppositionsparteien, was zu einem tiefen Misstrauen in das politische System führte. Die wirtschaftlichen Ungleichheiten, die durch diese Repression verstärkt wurden, tragen ebenfalls zur sozialen Unruhe bei, da viele Menschen weiterhin in Armut leben, während eine kleine Elite von der wirtschaftlichen Expansion profitiert.

Die Rolle internationaler Organisationen

International stehen Organisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch in der Kritik, die Situation der Menschenrechte in Bangladesch zu überwachen. Diese Organisationen haben Dokumentationen zu den Repressionen unter Hasina veröffentlicht, die auf systematische Menschenrechtsverletzungen hinweisen, darunter die willkürliche Inhaftierung von Regimekritikern und Gewalt gegen Demonstranten.

Die Berichte dieser Organisationen dienen häufig als Grundlage für internationale Druckmittel und Sanktionen gegen das Regime, jedoch zeigen die Erfahrungen der Vergangenheit, dass solche Maßnahmen oft begrenzt in ihrer Wirkung sind. Trotz wiederholter Menschenrechtsverletzungen bleibt Bangladesch für viele internationale Partner ein wichtiger Akteur, besonders im Bereich der Textilindustrie, wo das Land einer der größten Produzenten weltweit ist. Diese wirtschaftlichen Interessen könnten die Fähigkeit der internationalen Gemeinschaft einschränken, effektiv gegen Menschenrechtsverletzungen vorzugehen.

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