DeutschlandWirtschaft

Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit: Mehr Arbeit oder andere Lösungen?

Munich RE-Chef Joachim Wenning fordert in einem Interview, dass Deutschland gesetzliche Feiertage streicht und die Höchstarbeitsdauer erhöht, um die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft zu steigern, da das Land im internationalen Vergleich deutlich an Boden verloren hat.

Immer wieder wird in Deutschland über die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft debattiert, besonders in Zeiten, in denen das Land international an Boden verliert. Joachim Wenning, der Vorstandsvorsitzende von Munich RE, hat kürzlich in einem Interview seine Meinung dazu kundgetan: Er fordert, dass die Deutschen mehr arbeiten sollten, um im globalen Wettbewerb bestehen zu können. Die bereits vorliegenden Zahlen zeigen jedoch, dass möglicherweise andere Herausforderungen für die deutsche Wirtschaft ausschlaggebend sind.

In der aktuellen Bewertung des Internationalen Instituts für Managemententwicklung (IMD) ist Deutschland in wesentlichen wirtschaftlichen Kategorien zurückgefallen. Ein markantes Beispiel ist der Grad der Wirtschaftsleistung; die Bundesrepublik hat von Platz drei im Jahr 2021 auf Platz 13 im Jahr 2024 abgedankt. Auch die Effizienz der Unternehmen hat sich negativ entwickelt, wie die aktuellen Rankings demonstrieren. Es stellt sich also die Frage: Ist mehr Arbeit tatsächlich die Lösung für diese Probleme?

Wenning und die Forderung nach weniger Feiertagen

Wenning äußert im Interview eine provokante Idee: „Warum werden nicht einfach ein paar gesetzliche Feiertage gestrichen?“. Er weist darauf hin, dass es keinen Grund gibt, warum Bayern mehr Feiertage haben sollte als andere Bundesländer wie Hamburg. Seiner Meinung nach muss Deutschland die Auswirkungen der demografischen Entwicklung auf die Wettbewerbsfähigkeit und den Lebensstandard ernsthaft angehen. Wenning argumentiert, dass der technologische Fortschritt, insbesondere im Bereich der Datentechnologie, nicht ausreichen wird, um aufzuholen, wenn gleichzeitig die Arbeitsstunden nicht erhöht werden.

Für Wenning ist es unumgänglich, dass die Regierung die Rahmenbedingungen im Arbeitsmarkt anpasst. Er plädiert dafür, die gesetzliche Höchstarbeitszeit von zehn Stunden aufzuheben und einige Feiertage, vor allem in den Bundesländern mit den meisten Feiertagen, abzuschaffen. Diese Maßnahmen sollen nicht nur mehr Flexibilität schaffen, sondern auch den Wettbewerb im Arbeitsmarkt fördern. „In fünf bis zehn Jahren werden wir kompetitiv sein. Dafür lohnt es sich, Schmerz auf sich zu nehmen“, bekräftigt er seine Ansichten.

Diskussion um Renteneintrittsalter und Arbeitsanreize

Ein weiterer Aspekt, den Wenning anspricht, betrifft das Renteneintrittsalter. Die steigende Lebenserwartung der Deutschen wird als Grund angeführt, das Rentenalter zu erhöhen und Anreize für einen vorzeitigen Ruhestand abzubauen. Diese Forderung wird auch von der FDP unterstützt, die sich für die Abschaffung der Rente mit 63 Jahren ausspricht. Generalsekretär Bijan Djir-Sarai betont, dass jeder, der arbeiten kann, auch zumutbare Arbeit annehmen sollte. Die FDP plant eine Überarbeitung des Bürgergeldes, um Anreize zu schaffen, die mehr Menschen in den Arbeitsmarkt bringen.

Allerdings gibt es Uneinigkeiten zwischen Wenning und der FDP bezüglich der Schuldenbremse. Während die FDP diese Maßnahme als unabdingbar erachtet, glaubt Wenning, dass Investitionen in die wirtschaftliche Zukunft nötig seien, um das Land nicht ins Hintertreffen geraten zu lassen. „Wenn man jedoch alle bisherigen Ausgaben beibehalten und für zusätzliche Ausgaben keinen Spielraum schaffen will, ist man gefangen“, sagt er und kritisiert die derzeitige politische Lage.

Wenning möchte, dass die Menschen in Deutschland stärker in den Arbeitsprozess integriert werden, jedoch gibt es statistische Anhaltspunkte, die eine andere Geschichte erzählen. Die Daten des Statistischen Bundesamts zeigen, dass die Zahl der Erwerbstätigen im Jahr 2023 mit etwa 45,9 Millionen einen Höchststand erreicht hat. Diese Zunahme ist unter anderem auf die steigende Erwerbstätigkeit von Frauen und die Teilzeitarbeitsplätze zurückzuführen.

Wie wichtig ist Produktivität wirklich?

Wirtschaftsexperte Enzo Weber erklärt, dass es nicht nur darum gehe, wie viele Stunden gearbeitet werden, sondern auch, was aus diesen Stunden gemacht wird. Die Produktivität sei der entscheidende Faktor, wenn es um den Wohlstand eines Landes geht. Dieser Aspekt könnte über den einfachen Aufruf, mehr Stunden zu arbeiten, hinausgehen und eine tiefere Diskussion über Arbeitsorganisation und Effizienz anstoßen.

In dieser Debatte wird klar, dass die Herausforderungen der deutschen Wirtschaft komplex sind und nicht durch eine einfache Erhöhung der Arbeitsstunden gelöst werden können. Die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Arbeitnehmende und das Verständnis für die Rückgänge in der Produktivität sowie der Lebensqualität müssen ebenfalls auf die Agenda gesetzt werden.

Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands im internationalen Kontext

Die aktuelle Situation der deutschen Wirtschaft ist nicht nur eine innerdeutsche Angelegenheit, sondern spiegelt die Herausforderungen wider, mit denen viele Industrieländer konfrontiert sind. In den letzten Jahren haben andere Nationen, insbesondere die USA und Länder in Asien, große Fortschritte in den Bereichen Innovation und Digitalisierung gemacht. Der World Competitiveness Yearbook 2023 des International Institute for Management Development (IMD) belegt, dass Länder wie die USA und Singapur in den Rankings der Wettbewerbsfähigkeit an Bedeutung gewinnen. Deutschland hat im Vergleich zu diesen Ländern in verschiedenen Bereichen, wie Innovationskraft und technologischer Agilität, an Boden verloren. IMD hebt hervor, dass der Rückstand bei der Integration neuer Technologien und der Anpassung an sich verändernde Marktbedingungen erhebliche Konsequenzen für den langanhaltenden wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands haben könnte.

Demografische Herausforderungen und Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt

Ein zentrales Thema in den Diskussionen um die Wettbewerbsfähigkeit ist die demografische Entwicklung. Deutschland sieht sich einer alternden Bevölkerung gegenüber, was nicht nur die Arbeitskräfteangebot, sondern auch die sozialen Sicherungssysteme belastet. Laut dem Statistischen Bundesamt wird erwartet, dass der Anteil der über 65-Jährigen bis 2035 auf etwa 30 Prozent ansteigt, während der Anteil der Erwerbstätigen drastisch sinken könnte. Solche demografischen Veränderungen üben Druck auf das Rentensystem und die Gesundheitsversorgung aus. Statistisches Bundesamt warnt, dass ohne zielgerichtete Maßnahmen zur Steigerung der Geburtenrate und zur Integration von Migranten in den Arbeitsmarkt, die wirtschaftlichen Herausforderungen weiter zunehmen werden.

Internationale Vergleiche: Arbeitszeiten und Produktivität

Im internationalen Vergleich steht Deutschland bezüglich der Arbeitszeit und der Produktivität an einem kritischen Punkt. Laut OECD-Daten haben deutsche Arbeitnehmer im Jahr 2022 durchschnittlich etwa 1.362 Stunden pro Jahr gearbeitet, was im Vergleich zu anderen OECD-Ländern relativ niedrig ist. Während Länder wie Mexiko oder Südkorea deutlich höhere Arbeitszeiten aufweisen, zeigt sich zugleich, dass die Produktivität pro Arbeitsstunde in Deutschland hoch ist. OECD berichtet, dass die Kombination aus hoher Produktivität und kürzeren Arbeitszeiten in Deutschland zwar eine Stärke darstellt, jedoch auch zu einem Missverständnis führen kann: eine Vermutung, dass weniger Arbeit automatisch einen Rückgang der Wettbewerbsfähigkeit bedeutet. Die Herausforderung besteht darin, Effizienz und Produktivität in Einklang zu bringen, ohne die Arbeitsqualität und das Wohlbefinden der Arbeitnehmer zu gefährden.

Fazit: Die Herausforderungen annehmen

Die Diskussion um Arbeitszeiten und Wettbewerbsfähigkeit in Deutschland ist vielfältig und komplex. Während Joachim Wenning und die FDP Veränderungen fordern, stehen viele vor der Frage, wie man die Balance zwischen notwendigem wirtschaftlichen Fortschritt und der Qualität des Arbeitslebens hält. Die kommenden Jahre könnten entscheidend dafür sein, wie sich Deutschland an die internationalen Herausforderungen anpasst und welche Reformen als notwendig erachtet werden, um die Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig zu sichern. In der Tat bekämpfen viele europäische Nationen diese ähnlichen Herausforderungen und verfolgen dabei unterschiedliche Ansätze und Strategien.

Lebt in Mühlheim und ist seit vielen Jahren freier Redakteur für Tageszeitungen und Magazine im DACH-Raum.
Schaltfläche "Zurück zum Anfang"