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Von Berlin nach Stendal: Ein neues Leben zwischen Kulturschock und Entdeckung

Die Journalistin Sibylle Sperling zieht 2009 mit ihrer Familie von Berlin nach Stendal und entdeckt trotz des anfänglichen Kulturschocks das verborgene "Mehr" in der 40.000-Seelen-Stadt, während sie mit ihrem alternativen Reiseführer und innovativen Projekten wie einer Fahrrad-Rikscha das junge Leben in der Altmark beleuchtet.

Als die Journalistin und Autorin Sibylle Sperling 2009 von der pulsierenden Metropole Berlin in die beschauliche Hansestadt Stendal zog, hätte sie sich nicht träumen lassen, dass diese Entscheidung ihr Leben nachhaltig verändern würde. Der Wechsel von einer Stadt mit Millionen von Einwohnern in eine Kleinstadt mit gerade einmal 40.000 Seelen stellte einen radikalen Umschwung dar. Doch anstatt sich von der neuen Umgebung einschüchtern zu lassen, begab sich Sibylle auf eine Entdeckungsreise durch ihre neue Heimat und fand im vermeintlichen „Nüscht“ das „Mehr“.

Stendal, mit seinen charmant sanierten Altstadtgassen, mehr als vier prächtigen Kirchen und einer Vielzahl von historischen Backsteinbauten, wirkt auf den ersten Blick wie ein verwunschenes Kleinod. Doch bei genauerem Hinsehen offenbart die Stadt eine überraschend lebendige und innovative Szene. Die charmante Mischung aus Tradition und frischem, jungen Engagement prägt das Stadtbild und schafft Raum für neue Ideen. Sibylle trifft in Stendal auf andere Zugezogene und Rückkehrer, die sich aktiv in der Gemeinde einbringen.

Innovative Projekte in der Provinz

Ein herausragendes Beispiel für die Dynamik Stendals ist die Einführung der ersten Fahrrad-Rikscha, die ehrenamtlich von engagierten Bürgern betrieben wird. Diese Rikscha bietet älteren Stendalern die Möglichkeit, sicher und kostenlos durch die Stadt chauffiert zu werden und trägt so zur Lebensqualität in der Region bei. Solche Initiativen zeigen, wie die Bewohner den Freiraum der Provinz kreativ nutzen, um positive Veränderungen zu bewirken.

Sibylles Engagement geht jedoch noch weiter. Sie hat den ersten alternativen Reiseführer über die Altmark geschrieben, der unter dem Titel „In the Middle of Nüscht“ veröffentlicht wurde und schnell zum lokalen Bestseller avancierte. Durch ihre Schilderungen zieht sie interessierte Großstädter in die Region und zeigt ihnen die versteckten Schätze der Altmark auf. Der Reiseführer ist nicht nur ein praktisches Werkzeug, sondern auch ein Liebesbrief an eine Region, die oft übersehen wird.

Ein Stück Geschichte und Tradition

Stendal hat jedoch noch mehr zu bieten, als die charmante Altstadt und kreative Menschen. Die Stadt ist das Zuhause einer einzigartigen Tradition im Möbelbau. Seit über 130 Jahren werden hier Stühle, Tische, Sessel und Regale hergestellt, darunter auch der berühmte DDR-Kantinenstuhl. Diese handwerkliche Fertigung ist ein Stück Geschichte, das in den Möbelstücken der Stadt weiterlebt. Zudem beherbergt Stendal Deutschlands größte Sammlung von Eisenbahnläutwerken, was die Stadt zu einem Muss für Eisenbahnfans macht.

In Stendal wird zunehmend klar, dass „Nüscht“ nicht alles ist. Es ist der Raum nach dem Stillstand, der Raum für Kreativität und Innovation, in dem neue Ideen sprießen können. Sibylle Sperling hat es geschafft, das Potenzial dieser Stadt zu erkennen und zu fördern. Ihre Geschichte ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie das Verlassen der Komfortzone zu einer Bereicherung führen kann – nicht nur für die Einzelne, sondern auch für die gesamte Gemeinschaft. In Stendal scheint das „Mehr“ im „Nüscht“ nicht nur ein Sprichwort, sondern eine kaufmännische Realität zu sein, die sich in den vielfältigen Initiativen der Stadt widerspiegelt.

Lebt in Hamburg und ist seit vielen Jahren freier Redakteur für Tageszeitungen und Magazine im DACH-Raum.
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